EuGH-Urteil: Ein Triumph für die Sahrauis – Setzen EU und Deutschland weiter auf Ignoranz der internationalen Rechtsprechung?
Am 4. Oktober 2024 setzte die große Kammer des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) erneut
ein klares Signal: Handels- und Fischereiabkommen zwischen der EU und Marokko dürfen nicht die besetzte Westsahara einschließen. Ein entscheidender Sieg für das saharauische Volk und ihr Recht auf Selbstbestimmung!
Die insgesamt drei Urteile11 bauen auf der wiederholten Rechtsprechung des EuGH (erste
Instanz) auf, der bereits 2016 und 2018 die Unwirksamkeit der EU-Abkommen mit Marokko
festgestellt hatte. Die große Kammer des Gerichtshofs bekräftigte nun erneut, dass die
Westsahara ein „gesondertes und unterschiedliches“ Territorium sei, über das Marokko keine
Souveränität oder Verwaltungsbefugnis habe. Trotzdem hatte die EU, entgegen dieser klaren
rechtlichen Lage, ihre Abkommen mit Marokko auf die Westsahara ausgeweitet – ohne das
Einverständnis des saharauischen Volkes, das rechtmäßige Volk des Gebiets, einzuholen. Mit
dem Urteil vom 04.10.2024 wies der EuGH nun auch die Berufung von EU-Rat und Kommission
endgültig zurück. Innerhalb eines Jahres müssen alle Handels- und Fischereiabkommen, die
das Gebiet der Westsahara betreffen, beendet werden, wie der Präsident des Gerichtshofs,
Koen Lenaerts, klarstellte.
Jetzt ist es an der EU, den Nationalstaaten und den europäischen Unternehmen, die in der
besetzten Westsahara tätig sind, endlich die europäische Rechtsprechung zu respektieren und
entsprechend zu handeln. Neben den Haupthandelspartnern aus der EU, Frankreich und
Spanien, stehen auch die deutsche Bundesregierung und Unternehmen in Deutschland in der
Pflicht.
Doch trotz dieser eindeutigen juristischen Niederlage zeigt die EU erneut ihre wahre Priorität:
„Die EU ist fest entschlossen, in enger Zusammenarbeit mit Marokko im Einklang mit dem
Grundsatz ‘pacta sunt servanda’ enge Beziehungen zu dem Land in allen Bereichen der
Partnerschaft zwischen Marokko und der EU weiter zu pflegen und auszubauen.”2 Diese
Haltung der EU, die strategische und wirtschaftliche Interessen in der letzten Kolonie Afrikas
regelmäßig über internationales Recht stellt, spiegelt sich auch in Deutschland wider. Hier wird weiterhin der ökonomische und geopolitische Nutzen in den Vordergrund gestellt. Die EU
Kommission beweist wenig rechtsstaatliches Verständnis, wenn sie zwar die Verträge mit
Marokko einhalten will, aber nicht die Urteile erwähnt, die diese Verträge für ungültig erklären.
Während deutsche Firmen unbeirrt an der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen der
besetzten Westsahara beteiligt sind und die marokkanische Besatzung durch „facts on the
ground“ weiter zementieren, hat die Bundesregierung 2021 ihren bisherigen Kurs aufgegeben.
Statt den UN-Friedensprozess zu unterstützen, begrüßte Deutschland den von Marokko
vorgeschlagenen Autonomieplan als „sinnvolle Lösung“ – ein klarer Bruch mit der Verpflichtung zu internationalem Recht und den Rechten des saharauischen Volkes.
Es ist an der Zeit, dass das internationale Recht und das Recht auf Selbstbestimmung der Sahrauis wieder an erster Stelle stehen.
Deutsche wirtschaftliche Interessen dürfen nicht länger auf dem Rücken der Sahrauis ausgetragen werden.
Deshalb fordern wir:
„Wir begrüßen das EuGH-Urteil zu den Handels- und Fischereiabkommen der EU mit Marokko.
Das Gericht bestätigt nun endgültig, dass diese bisher geschlossenen Abkommen nichtig sind.
Das Volk der Westsahara muss konsultiert werden, die Frente POLISARIO ist der legitime
Vertreter der sahrauischen Interessen. Wir fordern die zuständigen Politiker*innen und
Institutionen in Europa auf, sich unverzüglich mit der Frente POLISARIO an einen Tisch zu
setzen, um eine Lösung des Westsaharakonfliktes auf der Grundlage des Friedensabkommens
von 1991 und im Sinne des Sebstbestimmungsrechts der Sahrauis gegenüber der
Besatzungsmacht Marokko durchzusetzen.“ – Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt
“Wir erwarten von der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten, dass die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs nicht nur respektiert, sondern auch umgesetzt werden. Es ist zu gewährleisten, dass die Ausbeutung der Ressourcen der Westsahara nur mit Zustimmung des Saharawischen Volkes und unter ausreichender Berücksichtigung der Interessen des Saharawischen Volkes erfolgt. Die von der EU mit Marokko ausgehandelten Verträge, müssen den Interessen der Saharawischen Volkes gemäß den vom EuGH genannten Kriterien Rechnung tragen. Für alle Waren und Dienstleistungen aus der Westsahara, die von der Europäischen Union importiert werden, muss als Herkunftsregion „West-Sahara“ angegeben werden und nicht Marokko.” – Europäische Juristenvereinigung (ELDH – EJDM e.V.)
„Seit über 10 Jahren laufen die Rechtsverfahren der Frente Polisario gegen die EU-Abkommen
mit Marokko, die ohne Zustimmung unseres Volkes auf die Westsahara angewandt werden.
Mehrfach wurde der Polisario Recht gegeben. Es ist höchste Zeit, dass die politische Praxis den Urteilen Rechnung trägt und endlich entsprechend handelt.“ – Saharauische Diaspora
Deutschland
“Dieses Urteil ist ein bedeutender rechtlicher Sieg für die Saharauis und ein Zeichen gegen die
europäische Beteiligung an der Ausbeutung natürlicher Ressourcen in der besetzten
Westsahara. In einer Zeit, in der das Völkerrecht unter Druck steht, ist es von grundlegender
Bedeutung, dass die EU ihrem eigenen Gericht nun folgt und die Westsahara aus Abkommen
mit Marokko ausschließt. Darüber hinaus fordern wir alle privaten Unternehmen auf, die
Rechtsstaatlichkeit zu respektieren und ihre Aktivitäten in der letzten Kolonie Afrikas sofort zu
beenden.” – Western Sahara Resource Watch (WSRW) – Germany
„Als Verein, der sich für Dialog und globale Gerechtigkeit einsetzt, begrüßen wir ausdrücklich die Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 4. Oktober 2024 in Bezug auf die Westsahara. Der EuGH hat unmissverständlich klargestellt, dass die Handels- und Fischereiabkommen zwischen der Europäischen Union und Marokko nicht auf das Gebiet der Westsahara angewandt werden dürfen. Ein klarer Appell an die internationale Gemeinschaft, das Selbstbestimmungsrecht der Saharauis zu respektieren und die natürlichen Ressourcen der Westsahara nicht weiter ohne ihre Zustimmung auszubeuten.“ – ZEOK e.V.
Das Westsahara Netzwerk ist ein Netzwerk zivilgesellschaftlicher Organisationen in Deutschland, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit den Auswirkungen der völkerrechtswidrigen Besatzung der Westsahara beschäftigen. Uns eint die Solidarität mit den Saharauis, dem Volk der Westsahara, in ihrem Widerstand gegen die Besatzung ihres Territoriums und bei ihrem Streben nach Selbstbestimmung.
Das Statement als PDF zum Download.
- Zum Fischereiabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und dem Königreich; zum
Europa-Mittelmeer-Abkommen und zur Kennzeichnung aus der Westsahara stammenden Lebensmittel. ↩︎ - Gemeinsame Erklärung von Präsidentin von der Leyen und des Hohen Vertreters/Vizepräsidenten
Borrell zu den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in Bezug auf Marokko, URL:
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/statement_24_5044 (letzter Abruf: 09.10.24). ↩︎